Ein Pferd, das man nicht kauft: Guapa

Da unsere Konikstute leider nicht für die Arbeit unter dem Sattek gemacht war, musste ich mich nach einem neuen Partner für unsere Ponyschule umsehen. Wenn man nach einem potenziellen Therapiepferd sucht, sind die Kriterien natürlich gänzlich anders, als wenn man ein Pferd nach eigenem Geschmack kauft. Der derzeitige Pferdemarkt ist „überfischt“, überteuert und vor allem mit „kaputten“ Pferden überhäuft. Wenn es dann noch schnell gehen muss und man eigentlich kein Geld über hat, wird das eine ziemlich schwierige Angelegenheit.

 

Die Kriterien für unser neues Pferd waren also folgende:

 

- Brav, ruhig, lieb, nicht schreckhaft, keine Unarten

 

- Halbswegs angeritten

 

- Größe zwischen 1,40 und 1,50 Stockmaß

 

- Stabil

 

- Kein Exem, keine Puschel (Mauke), kein Eisenträger

 

- Akzeptabel gewesen wäre Husten, Cushing, Spat, oder sonstige behandelbare „Begleiterscheinungen“

 

Vor fünf Jahren hätte ich mit ein bisschen Geduld sicher das „perfekte“ Pferd für einen guten Preis gefunden. Heute ist das undenkbar.

 

Ich durchforstete das Internet nach Fjordis, bereits gerittenen Koniks, polnischen kleinen Kaltblütern, Haflingern, Isländern ohne viel Gang, breiteren Reitponys, irgendwelchen Mixen zwischen 3000 und 5000 Euro und dachte mir: Das kann es alles nicht sein.

 

Irgendwann fand ich durch Zufall eine Anzeige mit der Überschrift „kinderliebe Stute“ und rief den Verkäufer in Winterberg an. Es war eine breite spanische Cremello Stute (irgendein spanischer Mix, ein so genannter „Cruzado“), vier Jahre alt, importiert, ein bisschen geritten und ansonsten einfach lieb, laut Verkäufer. Der Preis war den derzeitigen Umständen entsprechend gut und ich fragte gezielt nach, ob es eher in die Richtung PRE oder spanisches Bauernpferd ginge, denn Temperament bräuchten wir nicht. Den Bildern und seiner Beschreibung nach zu urteilen, passte letzteres, was mich hoffen ließ.

 

Er schickte mir ein Video, auf dem man sah, dass das Pferd nicht sauber im Schritt lief und der Verkäufer sagte mir auch sehr ehrlich, dass es deshalb so günstig sei und er es als reines Freizeitpferd verkauft. Ich besprach mich mit meinen Freundinnen und Fachmenschen, die alle sagten: „Laura, such weiter!“

 

Ich selbst bin bei Videos immer sehr vorsichtig, denn man kann auf ihnen alles und nichts sehen. Als Verkäufer versende ich ungern Videos meiner Pferde, da sie sich darauf sowieso nicht so toll zeigen, wie in echt und immer an genau DEM Tag lieber ein Schläfchen machen. Zudem ist das Video dann manchmal unscharf, weil man es mit dem Handy aufgenommen hat und so könnte man viel in das Können des Pferdes und des Menschen hinein interpretieren. Deshalb sage ich immer: „Angucken und herkommen. Ansonsten Tschau!“

 

Als Käufer kann ich aber sehr gut verstehen, dass man zunächst ein Video sehen möchte, ehe man sich womöglich mehrere Stunden ins Auto setzt. Deshalb sehe auch ich gerne vorher ein bewegtes Bild und kann aus meiner Erfahrung abschätzen, ob ich mir das Pferd ansehe, oder nicht. Da ich aber eben weiß, dass Videos ein Pferd auch schlechter darstellen können, als es in Wirklichkeit ist, urteile ich möglichst nicht.

 

In diesem Fall sagte mir mein Verstand und meine Erfahrung ganz klar, dass die Unregelmäßigkeiten in der Bewegung muskulärer Natur sind und dies mit entsprechendem Training zu verbessern, wenn nicht sogar zu beheben sind. Des Weiteren müssen die Pferde bei uns in der Ponyschule hauptsächlich Schritt, ein bisschen Trab und selten Galopp gehen, was die Anforderung an das Bewegungstalent des Pferdes absenkt, die Anforderung an ein liebes Wesen aber enorm steigert.

 

Mein Gefühl gab dem Pferdchen eine Chance und zusammen mit meinem Mann fuhren wir zu Beginn des neuen Jahres für einen Ausflug nach Winterberg.

 

Der Verkäufer war früher Viehhändler und bezieht heute hin und wieder Pferde vom LKW aus Spanien und Holland zum Verkauf. Seine Tochter besitzt zwei Reitponys und reitet freizeitmäßig.

 

Ich nahm die junge Dame zunächst in Augenschein und mir fiel sofort ein großer Muskelfaserriss am linken hinteren Oberschenkel auf. Die daraus resultierende Schonhaltung zog sich durch das ganze Pferd und machte es so schief, wie ich es selten bei einem anderen Pferd gesehen habe. Das Becken stand nicht gerade, die Schulter stand auf der einen Seite weit heraus, die andere Schulter war übermuskelt, der Kopf hatte einen kleinen Gnubbel am Jochbein und unterhalb der Fessel am linken Hinterbein war eine tiefe Narbe, wo sie vielleicht einmal im Draht gehangen hat. Zusätzlich fand ich eine kleine Narbe unter dem Auge aber wer weiß, woher die stammt.

 

Puh!

 

Aber: Hufe geben, anfassen, putzen, Beine abspritzen, Satteln und Trensen war alles kein Problem – sie war die Ruhe selbst. Also ab auf den matschigsten Reitplatz, den ich seit langem gesehen habe. (Alle Schüler, die denken, ihr Reitplatz wäre schlecht, haben diesen noch nicht gesehen.)

 

Ich longierte sie, was schon sehr gut klappte und überprüfte zunächst, ob seitliche Biegung möglich war und sie rückwärts gehen konnte. Beides etwas hackelig, aber in Ordnung. Im Trab sah man die ungleichmäßige Bewegung ebenso, wie im Schritt. Es blieb also gleich und wurde nicht schlimmer.

 

Unter dem Sattel war ich sehr positiv überrascht, denn sie hob ihren kurzen, starken und wirklich guten Rücken an und stapfte mit mir durch die Matsche. Sie trug mich bereitwillig in jede Ecke, ließ sich sehr gut lenken und ich konnte oben einen Hampelmann veranstalten, wie man sich das von einem Kinderpony wünscht. Mein Mann hüpfte um sie herum, klatsche und machte Lärm, wehte seine Jacke durch die Luft und das Pferd winkelte ein Bein an und stand regungslos dar. Sie war von unserer Hampelei wahrscheinlich genauso verwundert, wie der Verkäufer, der uns aber versicherte, schon alles an Pferdemenschen da gehabt und gesehen zu haben.

 

Zurück im Stall fragte ich dann noch, warum sie Eisen trägt und der gute Mann sagte mir, dass er Verkaufspferden generell Einsen aufziehen lässt, damit die Pferde einen gepflegteren Eindruck machen. Ich sagte ihm, dass dies überflüssig sei und der Stute mit den körperlichen Handicaps eher schadet, zudem der Beschlag dem Pferd in meinen Augen eine Menge Probleme machte, da er schlicht und ergreifend schlecht war. (Das hätte jeder erkannt, aber so habe ich ihm das nicht gesagt.)

 

Ich musste danach wirklich in mich gehen, denn ich wusste, dass die Spanierin arbeitsintensiv  wird (ich wusste da noch nicht, dass es gar nicht so viel Arbeit wird, wie ich dachte.) und ich mit den gesundheitlichen Aspekten ein Risiko eingehe. Was, wenn sie stärkere Defizite hat, als angenommen und vielleicht gar nicht belastbar ist? Dazu ist eine Stute ohne Abstammung – gelinde gesagt – echt doof. Man bekommt immer nur halbes Papier und weiß letztendlich nichts über sein Zuchtprodukt. Aber diese hübsche Stute mit einem guten Reitponyhengst ergibt durch ihre zwei Cream Gene mit Sicherheit ein tolles Freizeitpony in Sonderfarbe. Mal ganz davon abgesehen, dass ihr Charakter wirklich einmalig ist und sie keine „bösen Seiten“ zu haben schien.

 

Beim Pferdekauf bin ich kein Mensch, der nach Hause fährt und erst einmal nachdenkt, ehe er sich meldet. Zumal ich die Warterei als Verkäufer auch immer besonders hasse. Wenn ich mir ein Pferd ansehe, dann weiß ich in dem Moment auch, ob ich es kaufe oder eben nicht. Ich habe auch noch nie eine AKU gemacht, da ich meist nur Pferde erwerbe, die nicht „normal“ sind und die AKU in dem derzeitigen Zustand sowieso nicht bestehen würden.

 

Dennoch rate ich immer jedem „normalen Pferdemenschen“ alle möglichen Untersuchungen zu tätigen, da sie eben nicht über die Erfahrung und den Wissensschatz verfügen, wie wir Trainer das durch unseren jahrelangen Beruf tun. Des Weiteren geht es nicht nur um den Ist-Zustand, sondern die Einschätzung und Vorstellung, wie sich das Pferd mit entsprechendem Training wohl entwickeln wird. Was wird dabei möglich sein und was ist schwierig? Wird das Pferd seinen Job erfüllen können? Und doch wird man es nie wissen, bis man es probiert hat (bestes Beispiel ist Epona).

Ich habe mich also für die junge Dame entschieden, weil mich ihr Charakter überzeugt hat und ich mir sicher war, mit den körperlichen Defiziten umgehen zu können. Wir handelten einen sehr guten Preis aus und holten sie zwei Tage später ab. Nach dem Handschlag erfuhren wir auch ihren Namen. „Guapa“, zu Deutsch „die hübsche.“

 

Zu hause gab es dann zu aller erst das „All-around-Update“ meiner Pferde-Spezialisten, mit denen ich jetzt schon viele Jahre zusammen arbeite und die beide Hackneys und die blinde Stute hinbekommen haben. Nun kam ich aber mit einer ganz anderen Art der „Großbaustelle“ um die Ecke, bei denen alle nicht schlecht guckten.

 

Steffi machte noch am nächsten Tag die furchtbaren Eisen ab, die man von der Stange kaufen konnte. Sie hatten keinen Amboss gesehen und wurden ohne Anpassung aufgenagelt. Bei jedem Eisen, das sich vom Huf trennte, atmete die Stute auf, denn es müssen wirklich große Schmerzen gewesen sein. Die Hufexpertin sagte, dass jedes andere Pferd uns beide bei dem Versuch die Hufe anzufassen, schon umgebracht hätte. Das sprach also erneut für ihren lieben Charakter. Die Hufe haben ansonsten eine gute Qualität und dürfen sich nun erholen.

 

Meine Trainerin Ariane gab uns nach einem Live-Video-Training Anweisungen und Übungen, die einer Reha ähnelten. Hauptsächlich geht es dabei darum, das Pferd im Schritt und Trab möglichst langsam und bewusst zu arbeiten, damit ein gleichmäßiger Takt entstehen kann und das Pferd Balance findet. Auf der rechten Seite lief sie Anfangs sehr im Pass, auf der linken ungleichmäßig. Im Verlauf kommen Seitengänge in der Handarbeit, viel Rückwärts und Übungen im Stand dazu. Wir sehen dabei von übermäßigem Stellen und Biegen ab, um das Pferd zunächst eher gerade zu machen und aus der Schiefe heraus zu holen und diese nicht auf einer Seite noch zu verstärken.

 

Danach bekamen wir endlich einen Termin bei Annika, die mir sagte, dass der Muskelfaserriss am Hinterbein unser kleinstes Problem sei. Hinterbeine, Hüfte, Rücken sind super, gut bemuskelt und stark. Allerdings machte ihr der Schulterbereich Sorgen. Ich hatte bislang ja nur auf Probleme in der Hinerhand getippt, die sich dann durch das Pferd hindurch nach vorn zogen. Letztendlich lag das Problem woanders, was wieder ein Mal zeigt, wie wenig man auf einem Video sehen kann.

 

Die Rotation der linken Schulter, die eh etwas mehr nach vorn heraus steht, war eingeschränkter als die andere, wobei die Vorderbeine dies sehr gut kompensierten und auffingen. Annika tippe dabei auf einen kleinen frühen Bruch der linken Schulter, da das Knochen- und Narbengewebe drum herum sehr verhärtet ist und die Bewegungseinschränkung erklären würde.

 

Unsere Anweisung war, im Anschluss an eine Zahnbehandlung noch ein paar Röntgenbilder von der linken Schulter zu machen, damit wir sehen können, was dort wirklich ist und wie man der Stute noch besser Erleichterung verschaffen kann.

 

Die Zahnsanierung lief unproblematisch und es stellte sich heraus, dass sie wirklich gute Zähne hat und nicht so schnell wieder zur Behandlung muss. Bei den Röntgenbildern fanden wir tatsächlich eine alte, sehr kleine Fraktur am Schultergelenk, das eine Mini-Arthrose aufweist. Auch der Tierarzt war sich sicher: Was bis jetzt und in Zukunft funktioniert, kann man machen. Also los!

 

Eine spätere Tildren-Behandlung könnte ihr sicher gut tun und ansonsten ist die Zugabe von Gelenk unterstützenden pflanzlichen Mitteln eine Möglichkeit (Teufelskralle, A-Horse, Grünlippmuscheln).

 

Um ein Mal auf die die generellen Exterieur-bedingten Mängel der Spanier einzugehen, hier ein kleiner Exkurs zum Thema Spanier(kauf):

 

Generell ist der Kauf eines nicht gut gezüchteten Spaniers eine reine Glückssache, da diese Pferde oft bunt gemischt angepaart werden. Das ist auch der Grund, weshalb Cruzados (der spanische Begriff für Kreuzung) ganz unterschiedlich aussehen, oft sehr ungleichmäßig sind und körperlich unzählige Defizite haben.

 

Gute, gesunde und „reine“ Spanier mit Papieren kosten sehr viel Geld und sind temperamentvoll. Das entspricht ganz und gar nicht den Anforderungen an ein deutsches Freizeitpferd und zum Glück schreckt der Preis auch viele Interessenten vom Kauf ab, denn diese Pferde gehören in erfahrene Hände, die sich aus bestimmten Gründen genau diese Rasse kaufen.

 

Ich sage immer, die Cruzados sind die günstige Variante eines spanischen Pferdes, was weniger kostet aber dann (meistens) anderweitig teuer wird. Das spiegelt sich in den osteopathischen Behandlungen, Spezialbeschlägen, schwieriger Sattelsuche und eben auch gutem Training wider, denn durch die körperlichen Schwierigkeiten funktionieren diese Pferde nicht mit einem „0/8/15-Standart-Unterricht“. Oft haben sie schlechte Erfahrungen gemacht, sind hochsensibel oder haben Schmerzen, die sie deutlich zeigen. All das macht diese Mixe für einen Freizeitreiter sehr anspruchsvoll und oft auch überfordernd, weshalb ich meist davon abrate.

 

In wenigen Fällen werden aus ihnen tolle Freizeitpferde - wenn man Glück hat und sich auskennt und an sich und dem Pferd arbeitet.

 

Zurück zu unserem Glücksgriff.

 

Wir sind nun schon fleißig unter dem Sattel unterwegs, üben alle Gangarten und die Seitengänge, bei denen sie sich immer sehr bemüht und im Rahmen ihrer Möglichkeiten arbeitet. Oft müssen wir dabei an ihre Grenzen gehen, um sie muskulär weiter zu fördern und den Bewegungsapparat zu lockern. Mittlerweile haben wir komplett taktreine Abschnitte im Schritt und Trab und gerade der Galopp ist sehr bequem. Auch meine Angestellten können das „Reha-Programm“ mit ihr nach reiten, obwohl sie erst seit Anfang Januar da ist.

 

Immer wieder warte ich auf den „verrückten Spanier“ in ihr, der bei einer schärferen Korrektur ein Mal kurzen Prozess mit mir macht. Allmählich glaube ich aber, dass ich ihn wohl nie kennen lernen werde – sie ist einfach wirklich brav!

 

Ich muss ehrlich zugeben, dass mir die Ausbildung mit ihr sehr leicht von der Hand geht, auch wenn das Pferd diese starken körperlichen Defizite aufweist. Die vielen anderen Pferde der letzten Jahre haben mich eine Menge gelehrt, von dem ich nun zehre und wofür ich sehr dankbar bin.

 

In der Ponyschule ist sie fest integriert und von den Kindern heiß geliebt. Wir erklären den Kindern, dass Guapa ein bisschen anders läuft, als andere Pferde und sie vieles erst noch lernen muss. Und genau dieses „Handicap“ bricht bei vielen Kindern das Eis, vor allem bei jenen, mit eigenem Handicap.

 

Mit dem Kauf unserer Guapa sind wir ein großes Risiko eingegangen, das sich am Ende zu einer wirklich wunderbaren Entscheidung entpuppt hat. Es scheint, als wäre sie schon immer da gewesen.